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Melatonin: Wunderdroge oder Gesundheitsrisiko?

Den Ball treffsicher in den Basketballkorb werfen und charismatisch wirken – aus der Werbung wissen wir: Das ist möglich, wenn wir gut geschlafen haben. Aber was ist von Melatonin-Produkten zu halten?

Der Schlafmittelmarkt ist weltweit ein Milliardengeschäft. In der Europäischen Union ist ein Verbrauchertrend zu natürlichen und pflanzlichen Schlafmitteln zu beobachten. Diese werden als sicherer und weniger süchtig machend angesehen. Produkte mit pflanzlichen Inhaltsstoffen wie Baldrian, Melatonin und Lavendelöl und nichtverschreibungspflichtige Mittel werden verstärkt nachgefragt. Die Gelbe Liste enthält aktuell 300 Melatonin-Präparate (Stand Mai 2024).

Ein- und Durchschlafstörungen sind häufig und neigen dazu, chronisch zu werden. Bei 6 bis 10 % der Bevölkerung ist die Insomnie behandlungsbedürftig. Für Deutschland wird mit 5 Millionen betroffenen Menschen gerechnet.
 

Körpereigenes Hormon

Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das vor allem in der Zirbeldrüse gebildet wird, in geringer Menge auch in der Netzhaut des Auges und im Darm. Weil es u. a. das Schlaf-/Wachverhalten beeinflusst, wird es „Schlafhormon“ genannt. Tagsüber ist der Melatonin-Spiegel etwa 3- bis 12-mal niedriger als nachts. Nächtliche Dunkelheit regt die Melatonin-Ausschüttung an. Mit zunehmendem Alter wird weniger körpereigenes Melatonin produziert. Menschen, die viele koffeinhaltige Getränke, Alkohol oder Nikotin konsumieren, können niedrige Melatonin-Spiegel aufweisen. Auch chronischer Stress oder abendlicher Sport reduziert das körpereigene Hormon. Zu viel Melatonin kann gebildet werden, wenn es im Winter mehr Dunkelphasen als Sonnenstunden gibt. Auch infolge Antidepressiva-Einnahme oder bei Funktionsstörungen der Leber kann mehr körpereigenes Melatonin produziert werden.

In sehr geringen Mengen kommt Melatonin auch in pflanzlichen Lebensmitteln vor. Um dem Körper 0,1 mg natürliches Melatonin zuzuführen, müsste man z.B. 1 Tonne Gurken oder 200 kg Bananen verzehren.
 

Streitpunkt Melatonin

Melatonin ist eine Substanz mit pharmakologischer Wirkung, selbst in geringen Dosen. Es sei weder Nahrungs- noch Nahrungsergänzungsmittel, betonten das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin bereits 1995 und 1996.

„Melatonin ist meist ein Fall fürs Gericht“ titelte die Pharmazeutische Zeitung im Jahr 2020. Die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln listet Melatonin als verschreibungspflichtig auf. Allerdings verkaufen manche Hersteller Melatoninhaltige Präparate als Nahrungsergänzungsmittel. Ob solche Produkte zugelassen werden oder nicht, entscheidet in Deutschland die Lebensmittel-Überwachungsbehörde des Bundeslandes, in dem das herstellende Unternehmen firmiert. Das macht die Situation unübersichtlich. Jeder Einzelfall muss gerichtlich geklärt werden. Pauschalaussagen sind nicht möglich.

Auch im Jahr 2024 ist das Thema Melatonin noch Gegenstand von Expertendiskussionen. Das zeigt beispielsweise ein öffentlich einsehbares Protokoll der Gemeinsamen Expertenkommission zur Einstufung von sogenannten Borderline-Stoffen, also Stoffen, die als Lebensmittel oder Lebensmittelzutat in den Verkehr gebracht werden (siehe TOP 8).
 

Was die Schlafmedizin von Melatonin-Gummibärchen & Co hält

Ob Spray, Melatonin-Gummibärchen oder Kapseln – Melatonin ist kein Schlafmittel im eigentlichen Sinne, stellt die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) klar. Zum einen fehlen Wirksamkeitsstudien zu rezeptfrei erhältlichen Präparaten, zum anderen ist die Dosierung viel zu gering. Dennoch kann über längere Zeiträume oral zugeführtes Melatonin Nebenwirkungen verursachen, und zwar: Schläfrigkeit, Erschöpfung, Stimmungsschwankungen, Benommenheit, allgemeine Schwäche, Schwitzen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit/Nervosität, Unruhe, Aggressivität und morgendliche Müdigkeit, Magen-Darm-Beschwerden, Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, Kopfschmerzen, aber auch Schlafstörungen, Albträume und erhöhte Leberwerte. Obwohl die Studienlage bei pflanzlichen Präparaten schlecht ist, sehen Schlafforschende „einen leicht positiven Effekt von hochdosiertem Baldrian bei leichten Schlafstörungen“. Auch Lavendelöl wirkte in einzelnen Untersuchungen bei leichten Schlafstörungen angstlösend und einschlafförderlich.

Bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS kann Melatonin unter bestimmten Umständen bei diagnostizierten, behandlungsbedürftigen nichtorganischen Schlafstörungen in geringer Dosis eingesetzt werden. Bedingung: Hinweise zur Schlafhygiene und verhaltenstherapeutisch orientierte psychotherapeutische Interventionen hatten keinen Effekt. (Quelle: Stellungnahme DGSM, 2/2024)
 

Was der Verbraucherschutz sagt

Im Oktober 2022 hat die Stiftung Warentest rezeptfrei erhältliche Schlafmittel getestet. Der Testbericht zu Antihistaminika und Baldrian ist online zu beziehen (kostenpflichtig). Eins vorweg: Melatonin-haltige Produkte sahen die Verbraucherschützer kritisch.
 

Längster Tag des Jahres ist Aktionstag

Der 21. Juni ist nicht nur der längste Tag des Jahres, sondern ein von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin initiierter Aktionstag Erholsamer Schlaf. In diesem Jahr steht er unter dem Motto „Ein Recht auf Schlaf“. Sie haben Fragen zum Thema? Über den auf der Homepage verlinkten Kontakt können Sie diese stellen. Beantwortet werden sollen sie am 21. Juni live auf YouTube.

Ratgeber bei Schlafstörungen für Ihre Patientinnen und Patienten zum Herunterladen als PDF finden Sie auf der Website der DGSM.

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