Adipositas erfolgreicher behandeln: Mit neuen Medikamenten und Programmen
Adipositas-Therapie ist komplex
In Deutschland sind geschätzt 24 % der Bevölkerung adipös. Besonders besorgniserregend ist, dass inzwischen 6 % der Kinder und Jugendlichen ebenfalls von krankhaftem Übergewicht betroffen sind – Jugendliche stärker als Kinder. Sie alle gelten als chronisch krank und brauchen medizinische Versorgung.
Das Problem: Adipositas wird durch viele Faktoren begünstigt. Dazu gehören die genetische Veranlagung, das Ernährungsverhalten, Bewegungsmangel sowie problematische sozioökonomische Verhältnisse. Hinzu kommt, dass Adipositas häufig mit anderen chronischen Krankheiten assoziiert ist, z. B. mit Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Osteoporose und Demenz. Die Folgen einer Adipositas können unterschiedliche Lebensbereiche betreffen, sodass ein ganzheitlicher Behandlungsansatz angezeigt ist. Dieser Ansatz macht die Zusammenarbeit vieler verschiedener Gesundheitsakteure nötig: Ernährungsberatung, Bewegungstherapie, Pharmakotherapie, soziale Unterstützung und gegebenenfalls Chirurgie, wenn eine bariatrische Operation (Magen-OP) in Erwägung gezogen wird.
„Prävention und Therapie von Adipositas in der Hausarztpraxis bleiben eine Herausforderung, da die messbaren Erfolge selbst bei guter Motivation meist gering und von kurzer Dauer sind“, meint Professor Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Er sieht die Bekämpfung von Adipositas als gesamtgesellschaftliche Herausforderung, weil sozial benachteiligte Menschen stärker von der Krankheit betroffen sind. „Wir Ärztinnen und Ärzte müssen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass ungleiche Lebensbedingungen und soziale Spaltung auch harte gesundheitliche Konsequenzen haben“, meint auch der stellvertretende Sprecher der Sektion Prävention in der DEGAM, Thomas Maibaum. Die DEGAM kritisiert deshalb in einem Positionspapier, dass gut erforschte und breit angelegte Initiativen zur Verhältnisprävention nicht umgesetzt werden, wie z. B. eine Zuckersteuer und ausgewogenes Kita- und Schulessen.
Adipositas-DMP auf der Zielgeraden
Auch weil solche Public-Health-Maßnahmen auf sich warten lassen, steigt der Bedarf an angemessener Gesundheitsversorgung für adipöse Menschen seit Jahren kontinuierlich. Um Arztpraxen dabei zu unterstützen und die Behandlung evidenzbasiert zu gestalten, hat die letzte Bundesregierung im Jahr 2021 beschlossen, ein Disease-Management-Programm (DMP) für Adipositas einzuführen. Eigentlich sollte das dafür zuständige Gremium, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), bis zum 31. Juli 2023 ein entsprechendes Programm erstellen. Doch damit wird es wohl erst im Herbst klappen. Die Beratungen gestalten sich schwierig, u. a. weil das Gremium festlegen muss, welche Patienten sich für das DMP einschreiben können. Da die Betroffenen unter Begleiterkrankungen leiden, muss das im Detail geregelt werden.
Doch auch nachdem der G-BA seinen Beschluss getroffen hat, wird es noch nicht gleich möglich sein, dass sich Patientinnen für das Programm einschreiben können. Zuerst müssen die Krankenkassen mit den Arztpraxen entsprechende Verträge abschließen. Die Erfahrung mit anderen DMP zeigt: Das kann dauern. So gibt es zu einigen neueren DMP, wie z. B. zu chronischem Rückenschmerz, zu Depressionen oder zur rheumatoiden Arthritis noch nicht überall entsprechende regionale Verträge.
Das hat auch damit zu tun, dass die Kassen nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind, DMP abzuschließen. Die teilnehmenden Kassen bekommen im Moment pro eingeschriebenem Versicherten 123 Euro als Pauschale aus dem Gesundheitsfonds. Die Pauschale wird jedes Jahr angepasst. Zuletzt fiel sie wegen Corona-Regelungen niedriger aus, weil es weniger Behandlungen bei gleichzeitig mehr Teilnehmerinnen gab.
Ob das Adipositas-DMP die Behandlung der Betroffenen wirklich verbessern kann, bleibt abzuwarten. Die DEGAM äußert sich dazu kritisch. „Wie relevant und nachhaltig Abnehm-Programme in Hinblick auf Morbidität und Mortalität tatsächlich sind, ist bisher ungeklärt,“ sagt Thomas Maibaum.
Wirksames Abnehmmedikament ab Ende Juli in Europa erhältlich
Angesichts der schwierigen konventionellen Adipositas-Behandlung weckt ein neues Medikament große Hoffnungen – nicht nur bei Expertinnen, sondern generell bei Menschen mit Abnehmwunsch (wir berichteten). Der Wirkstoff Semaglutid ist unter dem Handelsnamen Wegovy seit August 2022 in der EU zugelassen und wird nun ab Ende Juli auch in Deutschland erhältlich sein.
Die sogenannte „Fett-Weg-Spritze“ ist für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30 und für Übergewichtige (BMI ab 27) mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung gedacht. Sie soll zusätzlich zu einem Ernährungs- und Bewegungsprogramm eingesetzt werden und Patientinnen dabei unterstützen, Gewicht zu verlieren oder zu kontrollieren. Die Patienten können sich das Medikament selbst spritzen. Es muss einmal pro Woche verabreicht werden.
In Studien zeigte sich, dass Patienten im Laufe von 68 Wochen dann im Schnitt 15 % ihres Ausgangsgewichts verloren. Wird das Medikament abgesetzt, nehmen die Patientinnen allerdings wieder zu. Welche Nebenwirkungen bei einer Langzeitbehandlung auftreten, wird noch erforscht. Bisher berichten Anwender vor allem über Übelkeit.
Arztpraxen müssen sich wohl darauf einstellen, dass vermehrt Menschen mit Abnehmwunsch nach Wegovy fragen werden. Das stellt sie auch vor ein Dilemma. Da das Medikament auch von Menschen stark nachgefragt wird, für die es nicht zugelassen ist, entstehen immer wieder Lieferengpässe, sodass Adipositas-Patienten in der Vergangenheit bereits nicht ausreichend versorgt waren.
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