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Der Ton in Arztpraxen wird rauer: Wie mit ausfälligen Patienten umgehen?

Überall in Deutschland berichten Praxisteams von einer bedenklichen Entwicklung: Patienten verhalten sich gegenüber medizinischem Personal aggressiv, beschimpfen oder bedrohen es. Das wird für immer mehr Arztpraxen zum Problem. Welche Folgen das hat und wie sich schwierige Situationen entschärfen lassen.

Aggressionen nehmen gefühlt zu

 

„Es scheint ein genereller Trend zu sein, dass Menschen ihren Frust an Helfenden auslassen“, sagt die Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, Nicola Buhlinger-Göpfarth. Sie ist nicht die Einzige, der diese Entwicklung Sorgen macht. Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Kassenärztlichen Vereinigung in Baden-Württemberg, der Landesärztekammer und des Verbands medizinischer Fachberufe (vmf) stimmen Buhlinger-Göpfarth zu. Hannelore König, die Vorsitzende des vmf, stellt zum ausfälligen Verhalten von Patienten fest: „Es zieht sich durch alle Schichten“.

 

Aus allen Teilen Deutschlands kommen Berichte von aggressiven Patienten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht von einer gefühlten Zunahme. Zahlen oder Statistiken sind rar. Hannelore König sagt: „Erfahrungsge­mäß werden viel zu wenige solcher Taten zur Anzeige gebracht“. Laut einer Untersuchung der Technischen Universität München haben 92 % der Hausärzte im Laufe ihres Berufslebens mit aggressiven Patienten zu tun. Jeder vierte Arzt erlebt sogar laut Ärztemonitor 2018 körperliche Gewalt.

 

Die zunehmenden Schwierigkeiten haben auch damit zu tun, dass die Ressourcen in der medizinischen Versorgung knapper werden: Sowohl in Krankenhäusern als auch Arztpraxen fehlen Fachkräfte, die Wartezeiten für die Patienten werden länger und ihre Erwartungen können nicht immer sofort erfüllt werden. Zusätzlich steigt der Bedarf an medizinischen Leistungen in einer älter werdenden Bevölkerung.

 

Besonders während der Pandemie war das Ungleichgewicht von Bedarf und Angebot spürbar. Der Sprecher der KBV, Roland Stahl, analysiert: „Knappe Ressourcen wie Impfstoffe während der ersten Phase der Coronapandemie führten beispielsweise zu einem regelrechten Ansturm auf die Praxen.“ Hannelore König betont, dass sich das Stresslevel der MFAs ohnehin auf einem extrem hohen Niveau bewegt: „Die zunehmende Gewaltbereitschaft erhöht diesen Druck noch weiter, so dass immer mehr gut ausgebildete und kompetente MFAs diesen Beruf verlassen“.

 

Bereits 2019 habe man festgestellt, dass der Umgangston in den Praxen rauer werde, so Hannelore König. 2021 hat sich auch der Deutsche Ärztetag mit dem Thema beschäftigt und gefordert, Gewalt gegen medizinisches Personal zu ahnden. Auf Anregung des vmf untersucht inzwischen eine Forschungsgruppe der Universität Düsseldorf das Thema.

 

10 Tipps für den Umgang mit ausfälligen Patienten

 

Praxisteams erleben immer wieder Situationen, in denen das Verhalten von Patienten Stressreaktionen auslöst. In der Regel sind diese Begegnungen zwar sehr unangenehm und können auch Angstgefühle auslösen, aber sie stellen keine direkte Bedrohung dar. In diesen Fällen geht es vor allem darum, die eigenen Gefühle zu regulieren, professionell zu kommunizieren und freundlich aber bestimmt Grenzen zu ziehen. Das Ziel: Das eigene Selbstwertgefühl stabil halten. Eine wertschätzende Teamkultur und regelmäßige Gespräche, in denen belastende Situationen reflektiert werden, sind dafür eine wichtige Unterstützung. Eine gute Praxisatmosphäre kann solchen Stresssituationen sogar vorbeugen.

 

Wenn bei aggressiven Patienten vorbeugende Maßnahmen fehlschlagen, verlagern sich aber die Prioritäten. Dann geht es vor allem darum, die eigene Sicherheit sicherzustellen und bedrohliche Situationen zu entschärfen. 10 Tipps, wie das gelingen kann:

 

  • Versuchen Sie den Angreifer verbal zu beruhigen. Dazu lassen sich lösungsorientierte W-Fragen nutzen:
    • Was erwarten Sie jetzt von mir?
    • Wie kann ich Ihnen helfen?
    • Wie wollen wir weiter vorgehen?
    • Wie lösen wir jetzt das Problem?
  • Sorgen Sie für Distanz. Halten Sie eine, besser zwei Armlängen Abstand und nutzen Sie den Tresen oder einen Schreibtisch als Schutzbarriere. Bedroht Sie der Angreifer körperlich, strecken Sie beide Arme vor der Brust aus und sagen Sie dabei laut „Stopp!“.
  • Achten Sie auf eine Fluchtmöglichkeit. Versuchen Sie, sich nicht in eine Ecke drängen zu lassen.
  • Behalten Sie mögliche Waffen im Auge. Fast alles kann zu einer Waffe werden: Locher, Scheren, Brieföffner. Räumen Sie solche Gegenstände möglichst in Schubladen. Eine Schale mit Sand oder Büroklammern kann im Notfall hilfreich sein: Dem Angreifer entgegenwerfen, um ihn abzulenken.
  • Rufen Sie so früh wie möglich Verstärkung dazu. Wenn ein Angreifer 2 oder 3 MFAs gegenübersteht, wirkt die Überzahl häufig abschreckend.
  • Vereinbaren Sie ein Signalwort. So können Sie, ohne dass es dem Angreifer auffällt, Unterstützung aus dem Team anfordern.
  • Nie allein am Tresen. Dienstpläne sollten so gestaltet sein, dass sich nie eine MFA oder ZFA allein im Empfangsbereich der Praxis aufhalten muss. Das kann frühmorgens oder abends allerdings schwierig umsetzbar sein.
  • Machen Sie sich einen Notfallplan. Besprechen Sie im Team, wie Sie sich in gefährlichen Situationen verhalten wollen. Halten Sie Notrufnummern der Polizei bereit.
  • Zeigen Sie Beleidigungen und Beschimpfungen an.
  • Hängen Sie einen Bußgeldkatalog aus. Für Schimpfworte sind bereits Urteile gesprochen worden, bei denen bis zu 1000 Euro Bußgeld fällig war.

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