Durch Prävention 20 % der sturzbedingten Klinikeinweisungen verhindern
Ein Kind braucht ein Jahr, um sich unabhängig bewegen zu können, und zehn Jahre, um unabhängige Mobilität zu erlangen. Ein alter Mensch kann beides an einem Tag verlieren. Professor Bernard Isaacs (1924–1995)
„2,6 % der Erwachsenen hatten innerhalb von 12 Monaten einen Sturzunfall und wurden deshalb ärztlich behandelt; Frauen erleiden mit 2,4 % nahezu gleich häufig Sturzunfälle wie Männer mit 2,8 %.“ „Der Anteil der Sturzunfälle am gesamten Unfallgeschehen steigt im Altersgang: Bei Männern ab dem 70. Lebensjahr auf über 50 %, bei gleichaltrigen Frauen auf über 60 %.“
Diese und weitere Zahlen veröffentlichte das Robert Koch-Institut im Jahr 2016 im Faktenblatt „Sturzunfälle in Deutschland“. Sturzereignisse und sturzbedingte Verletzungen wirken sich negativ auf die Unabhängigkeit und Lebensqualität von Menschen aus. Vor allem bei den über 65-Jährigen sind häufigere Erkrankungen, eine erhöhte Sterberate und steigende gesundheitsbezogene Kosten festzustellen.
Jährlich gibt es rund eine halbe Million sturzbedingte Krankenhauseinweisungen
Gültige Präventions- und Behandlungsrichtlinien waren bisher uneinheitlich. An den jetzt veröffentlichten „World Falls Guidelines“ haben 96 Wissenschaftler aus 39 Ländern mitgearbeitet. Die evidenz- und konsensbasierten Empfehlungen zur Sturzprävention und -behandlung für ältere Erwachsene sollen insbesondere medizinischen Fachkräften neue Möglichkeiten bieten. Mit Blick auf jährlich rund eine halbe Million sturzbedingte Krankenhauseinweisungen sagte der an der Erstellung der Leitlinie beteiligte deutsche Altersmediziner Professor Clemens Becker: „Uns ist es nach zwei Jahren Arbeit erstmals gelungen, einen globalen Konsens zu schaffen für die Prävention, Diagnostik und Therapie von Stürzen. Durch eine frühzeitige Prävention könnten wir die Zahl der Einweisungen um 20 % reduzieren.“
Künftig jährliche Hausarzt-Befragung und Ganganalyse
Für Deutschland wird empfohlen, alle älteren Erwachsenen wesentlich umfänglicher als bisher zur Sturzprävention und körperlichen Aktivität zu beraten. Mindestens einmal im Jahr sollen Hausärzte betroffene Patienten nach Stürzen oder Sturzrisiken befragen. Zur Untersuchung sollte auch eine Ganganalyse gehören. „Wir wissen: Unterschreitet das Schritttempo 0,8 Meter in der Sekunde, steigt das Sturzrisiko“, so Professor Clemens Becker, Leiter der Forschung zur Mobilität des Menschen am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und Leiter des Bereichs Digitale Geriatrie am Universitätsklinik Heidelberg. „Außerdem sollten Menschen mit Demenz oder Parkinson unbedingt Zugang zu systematischen Trainingsprogrammen erhalten.“ Betroffene sollten eine gezielte Physiotherapie und Übungsprogramme durchlaufen.
Für ältere Menschen in Gemeinschaftseinrichtungen wie Pflegeheimen soll es eine auf den individuellen Gesundheits- oder Krankheitszustand zugeschnittene Prävention für das Sturzrisiko geben. „Personen mit hohem Risiko sollte eine umfassende multifaktorielle Bewertung angeboten werden, um eine personalisierte und fachübergreifende medizinische Behandlung zu gewährleisten. Damit ließe sich das zukünftige Sturzrisiko dieser Personen erheblich reduzieren“, so Clemens Becker.
Medizinische Sturzdefinition und Konsens
Erstmals definiert die globale Sturzleitlinie „was medizinisch als Sturz oder auch schwerer Sturz klassifiziert werden kann und wie dann mit den Betroffenen genau umgegangen werden sollte“, so Clemens Becker. Die an der Erstellung der Leitlinie Beteiligten einigten sich darauf, künftig jede ältere Person – auch ohne erkennbare Verletzungen – mit Gebrechlichkeitserscheinungen oder Schwierigkeiten, selbstständig aufzustehen, tiefergehend zu untersuchen. Bisher war das nur bei Verletzungen oder wiederholten Stürzen üblich. Das multifaktorielle Risiko-Assessment legt auch fest, dass Hausärzte 3 bis 6 Monate nach einem Sturz den Zustand des Patienten erneut prüfen sollen.
Nationaler Aktionsplan für geriatrische Ambulanzen gefordert
Die neuen Empfehlungen zur Sturzprävention und -behandlung berücksichtigen die Perspektiven älterer Erwachsener und deren Betreuende. Mit der globalen Sturzleitlinie sei „methodisch eine Rundumbeleuchtung der Sturzprävention und -behandlung gelungen, die sämtliche Bevölkerungsschichten auf dem Globus einbezieht“, hob der Sturz-Experte der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, Professor Clemens Becker, hervor. Dies sei wichtig, da Stürze bei älteren Menschen vor allem in einkommensschwachen Kreisen vorkämen.
Künftig soll nach dem Vorbild der geriatrischen Rehabilitation verstärkt in geriatrische Institutsambulanzen als Anlaufstelle für ältere Patienten investiert werden. Dazu wird ein nationaler Aktionsplan gefordert.
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