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Gewalt gehört zum Alltag – Praxen immer häufiger betroffen

Weiterhin nehmen die Zahlen der verbalen und körperlichen Übergriffe gegen Praxisteams zu. Der baden-württembergische Ärzteverband MEDI, der dazu eine aktuelle Umfrage erhoben hat, sieht die Entwicklung mit Sorge.

In jeder sechsten ärztlichen Praxis erleben die Mitglieder des Praxisteams verbale und körperliche Angriffe. Insgesamt gaben 67 % der befragten Medizinerinnen und Mediziner in der Umfrage an, bereits mit verbaler Gewalt in ihrer Praxis konfrontiert worden zu sein. 16 % berichteten, neben Beleidigungen und Beschimpfungen auch körperliche Angriffe erlebt zu haben. Besonders besorgniserregend ist die Häufigkeit der Vorfälle: Bei über der Hälfte der Teilnehmenden kommen gewalttätige oder aggressive Auseinandersetzungen mindestens einmal im Monat vor. In fast jeder fünften Praxis treten solche Situationen sogar bis zu viermal monatlich auf.

 

Gesetzlicher Schutz gefordert

„Gewalt ist nicht nur ein Thema in den Kliniken und im Rettungsschutz, sondern gehört längst auch zum Alltag in unseren Praxen. Das zeigen nicht nur unsere täglichen Erfahrungen, sondern das bestätigt auch unsere aktuelle Umfrage unter unseren Mitgliedern. Und das ist mehr als beunruhigend. Deshalb brauchen wir dringend mehr strafrechtlichen Schutz“, mahnt Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und niedergelassener Kardiologe in Kirchheim unter Teck in einer Pressemitteilung

Der Verband setzt sich deshalb für eine Ausweitung des besonderen strafrechtlichen Schutzes nach § 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch ein. Dieser schützt bislang vor allem Rettungsdienste und Notfallpersonal. Nach Ansicht von MEDI sollte dieser Schutz dringend auch auf Beschäftigte in ärztlichen Praxen ausgedehnt werden.

 

Nach Angriffen selbst behandlungsbedürftig

Wie groß die psychische Belastung durch solche Vorfälle ist, zeigt die Erhebung ebenfalls deutlich: 39 % der Befragten berichteten von langfristigen seelischen Folgen. 11 % mussten sich infolge von Gewalterfahrungen sogar selbst ärztlich behandeln lassen.

 

Vielfältige Gründe

Als Hauptursachen für den Anstieg der Aggressionen nennen die Befragten vor allem den zunehmenden Respektverlust in der Gesellschaft. Rund ein Drittel sieht hier den entscheidenden Faktor. Über 25 % machen zudem den wachsenden Versorgungsdruck sowie die steigende Anspruchshaltung der Patientinnen und Patienten verantwortlich.

Johannes D. Glaser, Allgemein- und Sportmediziner sowie Berater des Verbands, hat die Umfrage wissenschaftlich begleitet. „Es ist erschreckend, wie die Gewaltbereitschaft in den vergangenen 5 Jahren zugenommen hat. Neben der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung sehen wir auch die Politik in der Verantwortung, die den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt, ihre Gesundheitskarte sei eine Flatrate. 13 % der Kolleginnen und Kollegen begründen in unserer Umfrage die Entwicklung auch mit einer Art ‚Ärzte-Bashing‘ - ausgelöst durch die gesetzlichen Krankenversicherungen und die Politik. Das lädt zur Respektlosigkeit ein“, betont Glaser. 

Auch der Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten, allein in Baden-Württemberg fehlen derzeit rund 1.000, sowie die immer kürzer werdende Behandlungszeit führen laut Glaser zu wachsender Frustration und aggressivem Verhalten.

Viele Praxen versuchen inzwischen, sich aktiv gegen Eskalationen zu wappnen. Fast jede zweite Praxis hat bereits spezielle Kommunikationstrainings für das Team absolviert. Nahezu ein Viertel setzt bauliche Schutzmaßnahmen ein, 15 % nutzen interne Codewörter für Notfallsituationen. 8 % haben bereits Hausverbote ausgesprochen, einige halten sogar Pfeffersprays bereit.

„Wir nehmen die Sorgen und Ängste unserer Mitglieder und Kolleginnen und Kollegen sehr ernst. Die Ergebnisse unserer Studie fordern auch uns als Verband zum Handeln auf.“ So plane der Verband derzeit den Aufbau einer anonymen Meldeplattform für Gewaltvorfälle. Zudem wolle MEDI das Thema stärker in die politische Diskussion bringen. Norbert Smetak fordert: „Die Gewaltsituation in der ambulanten Versorgung muss viel mehr Aufmerksamkeit bekommen.“

 

MT

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