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Häusliche Gewalt: Praxisteams müssen helfen

Wer bei Patientinnen oder Patienten in der Praxis den Eindruck gewinnt oder Hinweise auf häusliche Gewalt bekommt, ist gesetzlich zum Handeln verpflichtet.

Es passiert unabhängig von Bildung, Einkommen und sozialem Hintergrund: Junge und ältere Menschen, Kinder, Frauen und Männer werden zu Opfern. Erkennen, Vorbeugen und Verhindern von Missbrauch und häuslicher Gewalt ist Teil der am 09.12.2020 in Kraft getretenen und zum 20. April 2024 weiterentwickelten QM-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Besonders Hausärztinnen und -ärzte sind oft nah am Geschehen. „Wir können Opfern nur helfen, indem wir sie stärken, nicht, indem wir sie bevormunden und ihnen sagen, was sie tun müssen“, sagt Anja Thiemann. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin leitet die Arbeitsgruppe zum Thema häusliche Gewalt im Hausärzteverband Berlin-Brandenburg und setzt sich bundesweit für dieses Thema ein. 

 

Selbstbestimmtheit Betroffener wahren und achten

Im Hinweis- oder Verdachtsfall sollten MFAs und ZFAs die Patientin oder den Patienten unter einem Vorwand in einen separaten Raum führen. Ohne selbst Druck und Gewalt auszuüben, sollten sie versuchen zu vermitteln: Gewalt ist immer Unrecht. Niemand ist für das, was ihm geschieht, selbst verantwortlich. Alle Menschen haben das Recht auf Schutz vor Gewalt. Gesprächs- und Unterstützungsangebote sollten verbindlich und verlässlich sein, niemals aufdringlich: 

 

  • „Kann ich etwas für Sie tun? Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen nicht gut geht.“ 
  • „Die Ärztin/der Arzt kommt gleich. Gibt es etwas, das ich für Sie tun kann/jemanden, den ich für Sie anrufen soll?“ 
  • „Wir haben eine tolle Spielecke. Darf ich mit Ihrem Kind dort hingehen? Dann können Sie in Ruhe mit Ihrer Ärztin/Ihrem Arzt sprechen.“ 
  • „Sie müssen darauf nicht antworten, Sie müssen nicht darüber reden. Aber Sie haben hier jederzeit die Möglichkeit dazu.“

 

„Ist das in dem Moment nicht gewünscht, muss man diese Entscheidung erstmal akzeptieren, den Verdacht neutral dokumentieren und die Praxisleitung informieren“, sagt Thiemann. Unbedingt sei der Selbstschutz zu beachten: Wo häusliche Gewalt ein wunder Punkt ist, sollten Kolleginnen oder Kollegen einspringen, um einen professionellen Umgang und zugleich den Selbstschutz im Praxisteam zu wahren. Man sollte reaktionsunabhängig immer zugewandt, unterstützend, offen und respektvoll bleiben, über Notrufnummern und Unterstützungsangebote informieren, Bedürfnisse erfragen und die Selbstbestimmung des Betroffenen achten und stärken. 

„Lassen Sie die Betroffenen aussprechen, geben Sie Ihnen Zeit. Bieten Sie etwas zu trinken an, evtl. Traubenzucker, um den Stress zu reduzieren“, rät Thiemann. Dazu gehört auch, im Praxisbetrieb genügend Zeit einzuplanen, Folgetermine auf Randzeiten zu legen und auch bei Verspätungen, Absagen und No-Shows bedingungslos Nachsicht und Verständnis zu zeigen: „Selbst wirtschaftlich unabhängige Opfer häuslicher Gewalt tun sich schwer, die Beziehung zu verlassen.“ 

 

Der erste Schritt ist der wichtigste: Das Schweigen brechen 

Wer als Kind miterlebt, wie ein Elternteil Gewalt erfährt, bekommt Narben im Frontalhirn. Dieser ärztliche Hinweis an Täter habe schon dazu geführt, dass diese sich Hilfe suchen. Bei der Täteransprache, ob Mann oder Frau, sei aber Vorsicht geboten: Häufig begleiten Täter oder Mitwissende ihre Ehepartner oder Kinder in die Praxis, um bewusst oder unbewusst Chancen auf Gespräche einzuschränken. 

Äußerste Diskretion des Praxisteams gegenüber Begleitpersonen, Verzicht auf vielsagende Blicke oder zweideutige Bemerkungen, kann überlebensnotwendig sein. Wenn Täterin oder Täter und Mitwissende keinen Verdacht schöpfen, steigt die Chance, dass die Betroffenen wiederkommen und Hilfe in Anspruch nehmen. „Man muss sich selbst zurückstellen“, sagt Thiemann: „Das ist nicht Ihr Kampf. Sie müssen nichts lösen und niemanden retten. Der erste und wichtigste Schritt ist, das Schweigen zu brechen und das Thema in die Welt zu bringen.“ 

In der Damentoilette von Anja Thiemanns Praxis hängt deshalb keine Werbung, sondern ein Poster zum Thema. Unter https://www.bda-hausaerzteverband.de/arbeitsgruppen/gewalt-in-der-haeuslichkeit finden Praxisteams weitere Informationen zum Thema und können Poster und anderes Material bestellen. 

 

SZ

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